Ausstellungstitel: Achtunddreissig Dinge

Nr. 09/38

Desoxyribonukleinsäure-Präparat („DNA“)
Holzständer: Historische chemische Präparate

es Reagensglas mit ca. 1 g „Nuclei

Friedrich Miescher, Basel; ca. 1869/70; Original-Beschriftung des Exponats (wahrscheinlich durch F. Miescher selbst): „Nuclein aus Lachssperma, F. Miescher“;
durch Korken verschlossenes Reagensglas mit ca. 1 g „Nuclein“-Pulver vorwiegend aus Lachs-DNA, die in ihrer Nucleotidsequenz (Abfolge der Bausteine) die Erbinformation Basler Lachse um 1870 trägt; 7,0 x 1,5 x 1,5 cm; aus der Präparatesammlung des Tübinger Physiologisch- Chemischen Instituts in der Gmelinstraße; Interfakultäres Institut für Biochemie, Universität Tübingen)
(Foto: Klaus Möschel)

Holzständer mit Präparaten

Vor 1865; fünf Harnsäurepräparate als Abbau- und Ausscheidungsform von Purin-Basen (Bestandteil der Nucleinsäuren) sowie fünf Kreatinpräparate und ein Harnstoffpräparat (von links nach rechts); 20 x 30 x 11 cm (Holzständer); aus der Präparatesammlung des Tübinger Physiologisch- Chemischen Instituts in der Gmelinstraße (Nachfolge-Institut des Tübinger Schlosslabors); Interfakultäres Institut für Biochemie, Universität Tübingen
(Foto: Klaus Möschel)

Entdeckung im Tübinger Schlosslabor

Die heutige Zeit wird wesentlich durch die molekularen Biowissenschaften geprägt. Diese und, als eine ihrer Anwendungen, die Gentechnik haben die Beherrschung der (Bio-) Chemie der Nucleinsäuren als unabdingbare Grundlage. Die Stoffklasse der Nucleinsäuren, ein Hauptbestandteil aller lebenden Zellen, war bis 1868 unbekannt.

Die Tübinger Universität kann sich rühmen, Anfang des 19. Jahrhunderts als weltweit erste für das Fach Biochemie (Physiologische Chemie) eine eigenständige ordentliche Professur eingerichtet zu haben. Diese war zuerst in der ehem. Küche des Schlosses Hohentübingen untergebracht („Schlosslabor“), bevor sie dann in die Gmelinstraße zog.

Insbesondere unter Felix Hoppe-Seyler (1825-1895) erlebte das junge Fach eine erste Blüte. Er war von 1861 bis 1872 Professor für Physiologische Chemie in Tübingen und als solcher, wie seine Nachfolger bis 1969, Mitglied sowohl der Medizinischen als auch der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Unter seiner Anleitung forschten im Tübinger Schlosslabor viele „Nachwuchswissenschaftler“ aus ganz Europa, unter ihnen, von Herbst 1868 bis Herbst 1869, der junge Doktor der Medizin aus Basel Friedrich Miescher (1844-1895).
Sein Forschungsthema war die chemische Zusammensetzung der Eiterzellen. Miescher reinigte erstmals die Kerne dieser Zellen und fand darin einen „neuen Körper sui generis, mit keiner bis jetzt bekannten Gruppe vergleichbar“, den er „Nuclein“ nannte (Miescher 1871). Seiner Zeit um mehr als 70 Jahre voraus formulierte er (ebd.): „...Die Erkenntnis der Beziehungen zwischen Kernstoffen, Eiweißstoffen und ihren nächsten Umsatzprodukten wird allmälig den Vorhang lüften helfen, der die innern Vorgänge des Zellwachsthums noch so gänzlich verhüllt...“.
Von Tübingen nach Basel zurückgekehrt, beschäftigte er sich weiter mit dem Nuclein, welches er u. a. aus dem dort wohlfeilen Lachssperma isolierte (ausgestelltes Präparat).
Auch in Tübingen wurde in der Folgezeit Nuclein aus weiteren Quellen isoliert (Hefe, Weizenkleie u. a.). Obwohl Miescher seine Hypothese über die biologische Funktion des Nucleins zunächst hartnäckig verfocht (Miescher 1874), konnte er sich damit nicht durchsetzen. Dies änderte sich erst 1944, als Experimente mit Pneumokokken von Avery in New York DNA, sowie Experimente mit Tabakmosaikviren von Schramm in Tübingen RNA als Träger von Erbinformation eindeutig identifizierten. Das Interesse an den Nucleinsäuren wurde von da an riesengroß. 1953 lieferte der Vorschlag der Doppelhelix-Struktur der DNA durch Watson und Crick mit dem darin enthaltenen Prinzip der Basenpaarung zwischen komplementären Nucleinsäure-Strängen eine chemische Erklärung für die wichtigsten biologischen Funktionen der Nucleinsäuren und läutete damit das Zeitalter der Molekularbiologie ein. Harnsäure (erste 5 Präparate im Holzständer) als Abbau- und Ausscheidungsform von Purin-Basen (Bestandteil der Nucleinsäuren) war im Tübinger Schlosslabor schon vorher ein „alter Bekannter“, ohne dass man etwas über diesen Zusammenhang wusste.

Hans Probst

- Miescher, F. (1871): Über die chemische Zusammensetzung der
Eiterzellen. Hoppe-Seyler‘s medicinisch-chemische Untersuchungen
4 : 441-60.
- Miescher, F. (1874): Die Spermatozoen einiger Wirbeltiere.
Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel 6 :
138-208.
- Watson, J. D. / Crick, F. H. C. (1953): A Structure for Deoxyribose
Nucleic Acid. Nature 171 : 737-8.

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