Friedrich Miescher, Basel; ca. 1869/70;
Original-Beschriftung des Exponats (wahrscheinlich
durch F. Miescher selbst): „Nuclein aus Lachssperma,
F. Miescher“;
durch Korken verschlossenes
Reagensglas mit ca. 1 g „Nuclein“-Pulver vorwiegend
aus Lachs-DNA, die in ihrer Nucleotidsequenz (Abfolge
der Bausteine) die Erbinformation Basler Lachse
um 1870 trägt; 7,0 x 1,5 x 1,5 cm;
aus der Präparatesammlung des Tübinger Physiologisch-
Chemischen Instituts in der Gmelinstraße;
Interfakultäres Institut für Biochemie, Universität
Tübingen)
(Foto: Klaus Möschel)
Vor 1865; fünf Harnsäurepräparate als Abbau- und
Ausscheidungsform von Purin-Basen (Bestandteil
der Nucleinsäuren) sowie fünf Kreatinpräparate und
ein Harnstoffpräparat (von links nach rechts);
20 x 30 x 11 cm (Holzständer);
aus der Präparatesammlung des Tübinger Physiologisch-
Chemischen Instituts in der Gmelinstraße
(Nachfolge-Institut des Tübinger Schlosslabors);
Interfakultäres Institut für Biochemie, Universität
Tübingen
(Foto: Klaus Möschel)
Die heutige Zeit wird wesentlich durch die molekularen Biowissenschaften geprägt. Diese und, als eine ihrer Anwendungen, die Gentechnik haben die Beherrschung der (Bio-) Chemie der Nucleinsäuren als unabdingbare Grundlage. Die Stoffklasse der Nucleinsäuren, ein Hauptbestandteil aller lebenden Zellen, war bis 1868 unbekannt.
Die Tübinger Universität kann sich rühmen, Anfang des 19. Jahrhunderts als weltweit erste für das Fach Biochemie (Physiologische Chemie) eine eigenständige ordentliche Professur eingerichtet zu haben. Diese war zuerst in der ehem. Küche des Schlosses Hohentübingen untergebracht („Schlosslabor“), bevor sie dann in die Gmelinstraße zog.
Insbesondere unter Felix Hoppe-Seyler (1825-1895)
erlebte das junge Fach eine erste Blüte. Er war von
1861 bis 1872 Professor für Physiologische Chemie
in Tübingen und als solcher, wie seine Nachfolger
bis 1969, Mitglied sowohl der Medizinischen als auch
der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät.
Unter seiner Anleitung forschten im Tübinger
Schlosslabor viele „Nachwuchswissenschaftler“
aus ganz Europa, unter ihnen, von Herbst 1868 bis
Herbst 1869, der junge Doktor der Medizin aus Basel
Friedrich Miescher (1844-1895).
Sein Forschungsthema
war die chemische Zusammensetzung der
Eiterzellen. Miescher reinigte erstmals die Kerne
dieser Zellen und fand darin einen „neuen Körper sui
generis, mit keiner bis jetzt bekannten Gruppe vergleichbar“,
den er „Nuclein“ nannte (Miescher 1871).
Seiner Zeit um mehr als 70 Jahre voraus formulierte
er (ebd.): „...Die Erkenntnis der Beziehungen zwischen
Kernstoffen, Eiweißstoffen und ihren nächsten
Umsatzprodukten wird allmälig den Vorhang lüften
helfen, der die innern Vorgänge des Zellwachsthums
noch so gänzlich verhüllt...“.
Von Tübingen nach
Basel zurückgekehrt, beschäftigte er sich weiter mit
dem Nuclein, welches er u. a. aus dem dort wohlfeilen
Lachssperma isolierte (ausgestelltes Präparat).
Auch in Tübingen wurde in der Folgezeit Nuclein aus
weiteren Quellen isoliert (Hefe, Weizenkleie u. a.).
Obwohl Miescher seine Hypothese über die biologische
Funktion des Nucleins zunächst hartnäckig
verfocht (Miescher 1874), konnte er sich damit nicht
durchsetzen. Dies änderte sich erst 1944, als Experimente
mit Pneumokokken von Avery in New York
DNA, sowie Experimente mit Tabakmosaikviren von
Schramm in Tübingen RNA als Träger von Erbinformation
eindeutig identifizierten. Das Interesse an
den Nucleinsäuren wurde von da an riesengroß.
1953 lieferte der Vorschlag der Doppelhelix-Struktur
der DNA durch Watson und Crick mit dem darin
enthaltenen Prinzip der Basenpaarung zwischen
komplementären Nucleinsäure-Strängen eine chemische
Erklärung für die wichtigsten biologischen
Funktionen der Nucleinsäuren und läutete damit das
Zeitalter der Molekularbiologie ein.
Harnsäure (erste 5 Präparate im Holzständer) als
Abbau- und Ausscheidungsform von Purin-Basen
(Bestandteil der Nucleinsäuren) war im Tübinger
Schlosslabor schon vorher ein „alter Bekannter“,
ohne dass man etwas über diesen Zusammenhang
wusste.
Hans Probst
- Miescher, F. (1871): Über die chemische Zusammensetzung der
Eiterzellen. Hoppe-Seyler‘s medicinisch-chemische Untersuchungen
4 : 441-60.
- Miescher, F. (1874): Die Spermatozoen einiger Wirbeltiere.
Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel 6 :
138-208.
- Watson, J. D. / Crick, F. H. C. (1953): A Structure for Deoxyribose
Nucleic Acid. Nature 171 : 737-8.
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