Ausstellungstitel: Achtunddreissig Dinge

Nr. 14/38

Herbarexemplare

Gewöhnliches Bitterkraut (Picris hieracioid

Gewöhnliches Bitterkraut (Picris hieracioides L.); Familie: Korbblütler (Asteraceae);
Fundort und -zeit: Roßberg bei Gönningen, August 1825; 47 x 29 cm (Blattgröße);
Exemplar aus dem Herbar des Tübinger Botanik-Professors Hugo von Mohl (1805-1872);
aus dem Besitz Hugo von Mohls, der sein Herbarium dem Botanischen Institut in Tübingen vermachte;
Herbarium Tubingense, Botanisches Institut der Universität Tübingen (Foto: Hilde Jensen)

Gewöhnliches Bitterkraut (Picris hieracioid

Gewöhnliches Bitterkraut (Picris hieracioides L.);Familie: Korbblütler (Asteraceae);
Fundort und -zeit: Türkenschanze bei Wien, August1793; 47 x 29 cm (Blattgröße);
Herbarexemplar aus der Sammlung des Ellwanger Arztes und Botanikers Josef Alois von Frölich (1766-1841); aus dem Besitz des Tübinger Botanik-Professors Hugo von Mohl (1805-1872), der es aus Frölichs Nachlass erwarb;
Herbarium Tubingense, Botanisches Institut der Universität Tübingen (Foto: Hilde Jensen)

Alte Herbarien in der Forschung heute

Das Gewöhnliche Bitterkraut stellt eine äußerst variable Art dar, die in zahlreichen und noch längst nicht klar voneinander abgegrenzten Formen, Sippen oder Unterarten von Europa bis nach Ostasien verbreitet ist. Ihr lateinischer Artname hieracioides deutet die Ähnlichkeit mit den verwandten Habichtskräutern der Gattung Hieracium an, die dem Systematiker noch größere Probleme bereitet (vgl. Gottschlich 1996). Für jede wissenschaftliche Vergleichsuntersuchung oder monographische Bearbeitung sind daher umfassende Herbarstudien unverzichtbar. Herkünfte unterschiedlicher Standorte und mit breiter geographischer Streuung sind dabei sehr hilfreich. Alte, genau etikettierte Sammlungen können aber auch ganz andere Fragen beantworten, wie z. B. den Rückgang oder gar das Aussterben einst häufiger Pflanzen, die Zuwanderung und Ausbreitung ausländischer Arten etc.

Oft lassen sich von Herbarexemplaren auch historisch interessante Aspekte oder „Querverbindungen“ ableiten. So gehört die 1793 von dem Ellwanger Medizinalrat Frölich (1766-1841) in Wien gesammelte Pflanze (Nr. 012512) mit zu den ältesten der rund 500’000 Belege im Tübinger Herbarium. Doch der begeisterte Botaniker war nicht nur in Österreich tätig, sondern vor allem in Ostwürttemberg, wo ihm zahlreiche Erstnachweise von Sporen- wie von Blütenpflanzen gelangen (vgl. Wolf 2004). Frölich verband bereits während seines Studiums in Ingolstadt, Erlangen und Wien die Medizin mit der Botanik. Seine medizinische (!) Doktorarbeit „De Gentiana dissertatio…“ („Über die Enziane…“) in Erlangen 1796 machte ihn international ebenso bekannt wie etwa seine Publikationen über die Korbblütler- Gattungen Crepis (Pippau) und Hieracium (Habichtskraut) aus dem Jahr 1838. Für Baden- Württemberg dokumentieren viele der über 10’000 Flechten, Moose, Farne und Blütenpflanzen im Herbarium Tubingense Frölichs wissenschaftliche Arbeit.

Aus seinem Nachlass erworben hat diese Sammlung Hugo von Mohl (1805-1872), an den das zweite Exemplar des Bitterkrauts vom Roßberg erinnern soll (Nr. 012664). Mohl studierte in Tübingen Medizin, wurde hier 1828 promoviert und widmete sich danach in München mehrere Jahre lang den Naturwissenschaften, besonders der Botanik. Mehrfach besuchte er Frölich in Ellwangen, der ihn schon als Schüler für die Pflanzenkunde begeistert hatte. Nach seinen Forschungen bei von Martius (1794- 1868) über die Anatomie der Palmen (1831), eine „bis heute noch unübertroffene Abhandlung“ (Mägdefrau 1992: 178), folgte Mohl 1832 einem Ruf an die Universität Bern. Doch bereits 1835 übernahm er in Tübingen die Professur für Botanik. Hier entstanden bis zu seinem Tod im Jahre 1872 grundlegende Arbeiten, die nahezu alle Bereiche der Pflanzenanatomie betreffen (u. a. geht der Begriff „Protoplasma“ auf ihn zurück). Mohl gehört aber nicht nur zu den bedeutendsten Botanikern des 19. Jahrhunderts: Gegen große Widerstände setzte er 1863 an unserer Universität die Gründung einer Naturwissenschaftlichen Fakultät durch – der ersten in Deutschland!

Klaus Dobat

- Gottschlich, G. (1996): Hieracium L. 1753. In: Sebald, O. et al. (Hrsg.): Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. Band 6. Stuttgart : 393-535.
- Mägdefrau, K. (21992): Geschichte der Botanik. Leben und Leistung großer Forscher. Stuttgart / Jena / New York.
- Wolf, H. (2004): Josef Aloys Frölich (1766-1841) und die Flora von Ostwürttemberg. Berichte der Botanischen Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutschland, Beiheft 1 : 81-148.

(Den Zugang zu den Sammlungen gestattete mir freundlicherweise Herr Prof. Dr. Franz Oberwinkler. Sehr herzlich bedanke ich mich ebenfalls bei der Leiterin des Herbariums, Frau Cornelia Dilger-Endrulat, für ihre sachkundige Unterstützung).

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