Präparat eines versteinerten männlichen Foetus;
gefunden 1720 bei der Sektion einer 91jährigen Frau
aus Leinzell bei Schwäbisch-Gmünd;
18,5 x 14 x 14 cm (Präparat), 41 x 27 x 27 cm (Vitrine);
Universitäts-Frauenklinik Tübingen (bis 1853/54 im
Anatomischen Institu t)
(Foto: Hilde Jensen)
Graphik des Steinkindes mit seinem Gehäuse.
(Aus: Kieser 1854: Fig. 1).
(Foto: Eva Parth)
Schreiben der „Hochfürstlich Württembergischen
Geheimen Cabinets-Canzley“ an den „Secretarius Schuckard“
vom 30. Juli 1732 mit dem Auftrag, das Steinkind nach Paris
auszuleihen. (Foto: Alfons Renz)
Ein Steinkind (Lithopaedion) ist eine über längere Zeit verhaltene tote Leibesfrucht. Nach Küchenmeisters präziseren Klassifikation von 1881 handelt es sich im vorliegenden Fall um ein Lithokelyphopaedion (Kalkschalen-Steinkind), bei dem der versteinerte Foetus unter Erhalt seiner anatomischen Strukturen in einer Kalkkapsel vorliegt.
Auf dem Sterbebett habe die 91jährige Frau den Arzt und ihren Pfarrer beschworen, sie trage noch ein Kind im Leibe, das mittlerweile 46 Jahre alt sein müsse. Dieses solle man bitte nach ihrem Tode herausholen. Tatsächlich fand sich in der kürbisgroßen, verkalkten Kapsel, die mit einem Beil geöffnet wurde, ein voll entwickelter, mumifizierter und teilweise zu Kalk gewordener Foetus männlichen Geschlechts. Von bräunlicher Farbe, geräuchertem Fleisch nicht unähnlich, sei er ursprünglich gewesen und habe nicht übel gerochen. Das Gesicht, die Ärmchen und Beinchen waren deutlich zu erkennen. Das Tübinger Steinkind gilt als das Schönste der weltweit ca. 300 in der Literatur beschriebenen Steinkinder. Nach seiner ersten Untersuchung und Balsamierung am Anatomischen Institut in Tübingen – damals noch in einer heute abgerissenen Nebenkapelle der Jakobuskirche – kam es noch im Jahr 1720 in die hochfürstliche Kunstkammer nach Stuttgart. Herzog Eberhard Ludwig und sein Hofstaat bestaunten diesen Fund, der großes öffentliches Interesse erregte – zumal die Frau später noch zwei gesunden Söhnen das Leben geschenkt hatte.
In der Schublade der Vitrine unter dem Präparat befindet sich noch das originale Schreiben der „Hochfürstlich Württembergischen Geheimen Cabinets-Canzley“ an den „Secretarius Schuckard“ vom 30. Juli 1732 mit dem Auftrag, das Steinkind nach Paris zu senden (an die dortige akademische Gesellschaft der Chirurgie), wo es ebenfalls als ein „großes Naturwunder“ beschrieben und untersucht wurde.
Noch einmal, 1853, erhielten die Tübinger Anatomen das Präparat zur Untersuchung mit den damals neuesten mikroskopischen und biochemischen Methoden. Hierzu wurde es unter Prof. Luschka in zwei Hälften zersägt (siehe die Schnittlinie von A nach B in Abb. 2). Danach ging es in den Besitz der Frauenklinik über, wo es zeitweilig im Foyer ausgestellt wurde. Ein Viertel des Präparats ist vor einigen Jahren abhanden gekommen.
In Zeiten verbesserter pränataler Diagnostik sind derartige Fälle glücklicherweise nicht mehr zu erwarten. Entsprechend verlieren solche Präparate ihre Bedeutung für die Forschung und Lehre, bevor sie als wissenschaftshistorische Objekte ihre eigene Würdigung erfahren. Immerhin hat das Leinzeller Steinkind diese kritische Phase überstanden. Ganz im Gegensatz zum berühmtesten und ältesten, dem Lithopaedion von Sens in Frankreich 1582, das nach wechselvoller Geschichte aus der Sammlung des königlich dänischen Naturalienkabinetts im 19. Jahrhundert verschollen ist.
Alfons Renz
- Kieser, W. (1854): Das Steinkind von Leinzell. Dissertation Tübingen.
Stuttgart.
- Küchenmeister, F. (1881): Über Lithopaedien. Archiv für Gynaekologie
17 : 153-9.
- Orth, G. F. (1720): Dissertatio inauguralis medica de foetu XLVI
annorum. Tubingae.
Impressum | © Copyright Universität Tübingen | Stand 12.06.2006