Ausstellungstitel: Achtunddreissig Dinge

Nr. 20/38

Bemalte Blechkatze

Kopfansicht der bemalten Blechkatze

Weißblech, Holz, Plastik, Farbe; 22 x 34 x 11 cm;
Kopfansicht der bemalten Blechkatze aus der Lehrsammlung
des Physikalischen Instituts, um 1990.
(Foto: Hilde Jensen)

Seitenansicht der bemalten Blechkatze
Seitenansicht der bemalten Blechkatze
(Foto: Hilde Jensen)

„Kandidatenfuhre“ vor dem Paläontologischen Institut

„Kandidatenfuhre“ vor dem Paläontologischen Institut in
der Sigwartstraße, 1970. (Foto: Eva Parth)

Das Requisit eines Initiationsritus

Gäbe es im Physikalischen Institut auf der Morgenstelle nicht eine lebendige Erzähltradition und im Universitätsarchiv nicht eine Fülle von Fotografien, in denen das akademische Leben in den 1960er und 70er Jahren dokumentiert ist, dann würde sich angesichts einer Blechkatze mit angehängtem Miniaturfahrrad so etwas wie ein Interpretationsnotstand einstellen.

Es handelt sich bei dem in die Form einer Katze gebrachten, bemalten Blechrohr um ein Fundstück der umfangreichen Lehrsammlungen des Physikalischen Instituts. Inmitten der historischen Messgeräte, Polarisationsapparate, Beugungsgitter etc. bringt sich die bemalte Blechkatze als Kuriosum zur Geltung – als ein Kuriosum, das eher an ein dadaistisches Kunstwerk als an ein Lehrmittel erinnert. Und nicht selten fiel bei den Erkundungsgesprächen auch der Name Schrödinger. Ist das Objekt etwa, so wurde gefragt, eine dinghafte Ironisierung des berühmten Gedankenexperiments des österreichischen Physikers, das unter der Bezeichnung „Schrödingers Katze“ nicht nur in die Wissenschafts-, sondern auch in die Ideen- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist? Zu vermuten ist: Nein!
Folgt man den Erzählungen der Morgenstellen-Physiker, dann scheint es sich um ein „Überbleibsel“ dessen zu handeln, was in der Fotosammlung des Universitätsarchivs als „Examensklamauk“ geführt wird. Bis in die frühen 1980er Jahre waren nämlich vor dem Hauptportal der Neuen Aula „Doktoranden-, Kandidaten- oder Examensfuhren“ üblich. Zuerst durch den Umzug auf die Morgenstelle, dann durch geänderte Prüfungsordnungen, schließlich auch, wie die Pedellen behaupten, durch den Rückgang geeigneter Fahrzeuge und lokaler Pferdefuhrwerksbetriebe ist der Brauch allmählich verschwunden. Gebildet hatte er sich insbesondere um Absolventen der ehemaligen Naturwissenschaftlichen Fakultät: Sie wurden vor dem Hauptportal der Neuen Aula, wo die mündlichen Prüfungen im Großen Senat stattfanden, abgeholt und auf einfallsreich und z. T. aufwändig dekorierten Fahrzeugen durch das Universitätsviertel kutschiert. Vor allem in den Fächern, in denen Forschungskollektive, Arbeitsteams und Laborgruppen für kooperative und kommunikative Strukturen sorgen, gehörten Übungen dieser Art zu den akademischen Abschlussritualen. Bei den Physikern, so belegen es die Archivfotografien, waren die Materialauswahl, die Objektarrangements und die bildhafte Gestaltung der Fahrzeugaufbauten in aller Regel auf das Thema der Dissertation bezogen.

Die neuere Wissenschaftsforschung hat einen eigenen Namen für die Requisiten erfunden; sie nennt sie „soziable Objekte“. Ihnen kommt eine besondere Rolle bei der „Integration von Expertenteams“ zu. Im Examensritual konstituiert sich so etwas wie die „emotionale Heimat für das Experten-Selbst“. In den oftmals als Objektwelten definierten Wissenskulturen der Physiker spielen deshalb „emotionale“ Dinge eine ebenso bedeutende Rolle wie die in ihrer methodologisch-erkenntnisleitenden Funktion in den letzten Jahren präzise analysierten „epistemischen Dinge“. So wäre die rätselhafte Blechkatze also mehr als nur das seltsame Relikt eines Examensbrauches, sondern auch Indikator einer Wissenschaftskultur, in der der kollektive Arbeits- und Forschungsstil durch Teamgeist, durch „Intensität und Lusthaftigkeit“ (K. Knorr-Cetina) geprägt ist.

Gottfried Korff

- Knorr-Cetina, K. (1998): Sozialität mit Objekten. Soziale Beziehungen in post-traditionalen Wissensgesellschaften. In: Rammert, W. (Hrsg.): Technik und Sozialtheorie. Frankfurt a. M. / New York : 83-115.

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