Weißblech, Holz, Plastik, Farbe; 22 x 34 x 11 cm;
Kopfansicht der bemalten Blechkatze aus der Lehrsammlung
des Physikalischen Instituts, um 1990.
(Foto: Hilde Jensen)
Seitenansicht der bemalten Blechkatze
(Foto: Hilde Jensen)
„Kandidatenfuhre“ vor dem Paläontologischen Institut in
der Sigwartstraße, 1970. (Foto: Eva Parth)
Gäbe es im Physikalischen Institut auf der Morgenstelle nicht eine lebendige Erzähltradition und im Universitätsarchiv nicht eine Fülle von Fotografien, in denen das akademische Leben in den 1960er und 70er Jahren dokumentiert ist, dann würde sich angesichts einer Blechkatze mit angehängtem Miniaturfahrrad so etwas wie ein Interpretationsnotstand einstellen.
Es handelt sich bei dem in die Form
einer Katze gebrachten, bemalten Blechrohr um ein
Fundstück der umfangreichen Lehrsammlungen des
Physikalischen Instituts. Inmitten der historischen
Messgeräte, Polarisationsapparate, Beugungsgitter
etc. bringt sich die bemalte Blechkatze als Kuriosum
zur Geltung – als ein Kuriosum, das eher an
ein dadaistisches Kunstwerk als an ein Lehrmittel
erinnert. Und nicht selten fiel bei den Erkundungsgesprächen
auch der Name Schrödinger. Ist das
Objekt etwa, so wurde gefragt, eine dinghafte Ironisierung
des berühmten Gedankenexperiments des
österreichischen Physikers, das unter der Bezeichnung
„Schrödingers Katze“ nicht nur in die Wissenschafts-,
sondern auch in die Ideen- und Kulturgeschichte
des 20. Jahrhunderts eingegangen ist?
Zu vermuten ist: Nein!
Folgt man den Erzählungen
der Morgenstellen-Physiker, dann scheint es sich
um ein „Überbleibsel“ dessen zu handeln, was in
der Fotosammlung des Universitätsarchivs als
„Examensklamauk“ geführt wird. Bis in die frühen
1980er Jahre waren nämlich vor dem Hauptportal
der Neuen Aula „Doktoranden-, Kandidaten- oder
Examensfuhren“ üblich. Zuerst durch den Umzug
auf die Morgenstelle, dann durch geänderte Prüfungsordnungen,
schließlich auch, wie die Pedellen
behaupten, durch den Rückgang geeigneter Fahrzeuge
und lokaler Pferdefuhrwerksbetriebe ist der
Brauch allmählich verschwunden. Gebildet hatte er
sich insbesondere um Absolventen der ehemaligen
Naturwissenschaftlichen Fakultät: Sie wurden vor
dem Hauptportal der Neuen Aula, wo die mündlichen
Prüfungen im Großen Senat stattfanden,
abgeholt und auf einfallsreich und z. T. aufwändig
dekorierten Fahrzeugen durch das Universitätsviertel
kutschiert. Vor allem in den Fächern, in denen
Forschungskollektive, Arbeitsteams und Laborgruppen
für kooperative und kommunikative Strukturen
sorgen, gehörten Übungen dieser Art zu den akademischen
Abschlussritualen. Bei den Physikern, so
belegen es die Archivfotografien, waren die Materialauswahl,
die Objektarrangements und die bildhafte
Gestaltung der Fahrzeugaufbauten in aller Regel auf
das Thema der Dissertation bezogen.
Die neuere Wissenschaftsforschung hat einen eigenen Namen für die Requisiten erfunden; sie nennt sie „soziable Objekte“. Ihnen kommt eine besondere Rolle bei der „Integration von Expertenteams“ zu. Im Examensritual konstituiert sich so etwas wie die „emotionale Heimat für das Experten-Selbst“. In den oftmals als Objektwelten definierten Wissenskulturen der Physiker spielen deshalb „emotionale“ Dinge eine ebenso bedeutende Rolle wie die in ihrer methodologisch-erkenntnisleitenden Funktion in den letzten Jahren präzise analysierten „epistemischen Dinge“. So wäre die rätselhafte Blechkatze also mehr als nur das seltsame Relikt eines Examensbrauches, sondern auch Indikator einer Wissenschaftskultur, in der der kollektive Arbeits- und Forschungsstil durch Teamgeist, durch „Intensität und Lusthaftigkeit“ (K. Knorr-Cetina) geprägt ist.
Gottfried Korff
- Knorr-Cetina, K. (1998): Sozialität mit Objekten. Soziale Beziehungen in post-traditionalen Wissensgesellschaften. In: Rammert, W. (Hrsg.): Technik und Sozialtheorie. Frankfurt a. M. / New York : 83-115.
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