Kopfmodell für den „rassenkundlichen“ Unterricht. Sophie Ehrhardt / Hans Hirschhuber;
um 1941;
bemalte Positiv-Abformmasse (Hominit);
lebensgroß; aus der Sammlung des Anthropologischen
Instituts, Schloss Hohentübingen;
Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen (z. Zt.
Leihgabe des Instituts für Ur- und Frühgeschichte
und Archäologie des Mittelalters, Abteilung Ältere
Urgeschichte und Quartärökologie)
Sophie Ehrhardt erklärt im Übungsraum Studentinnen
die Variabilität der Schädellängen, 1951.
(Reproduktion: Stadtarchiv Tübingen, nach verschollenen
Vorlagen aus dem Anthropologischen Institut Tübingen)
Übungsraum des Anthropologischen Instituts auf dem
Schloss Hohentübingen (heute: Bibliothek des Ägyptologischen
Instituts);
in der Vitrine befinden sich die Kopfmodelle. Um 1950.
(Reproduktion: Stadtarchiv Tübingen, nach verschollenen Vorlagen
aus dem Anthropologischen Institut Tübingen)
Die Anthropologin Sophie Ehrhardt (1902-1990), von
1942 bis zu ihrer Pensionierung 1968 in Tübingen
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Anthropologischen
Instituts, war 1938-42 an der Rassenhygienischen
Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamts
mit der Aufspürung, genealogischen Befragung und
Vermessung von sog. Zigeunern beschäftigt, die
aufgrund von rassischen Kategorien in „reinrassige
Zigeuner“ und „Zigeunermischlinge“ eingeteilt wurden.
Durch solche Kategorien wurden später Tausende
in Konzentrationslagern ermordet.
Ehrhardt
sollte im Frühjahr 1940 und im Herbst 1941 die Erhebungen
in Ostpreußen durchführen – sie erfasste
dabei ca. 1000 Personen, die teils mit Polizeigewalt
vorgeführt wurden. Bei dieser Gelegenheit fertigte
sie von mehreren „Zigeunern“ Gesichtsabdrücke an
und ließ am Anthropologischen Institut in München
Kopfmodelle herstellen. In Tübingen erläuterte sie
an Modellen von Zwillingsbrüdern noch lange nach
Ende des „Dritten Reiches“ die äußeren anthropologischen
Merkmale dieses Verwandtschaftsgrads.
Ehrhardt ging – wie sie im März 1942 in der Zeitschrift
„Volk und Rasse“ darlegte – von dem Konstrukt
der „reinrassigen“, aus Indien ausgewanderten
„Zigeuner“ aus, die sich im Laufe der Jahrhunderte
immer weiter vermischten, aber immer
noch als „fremdrassig“ kenntlich seien, was sie
durch einen Vergleich mit den anthropometrischen
Daten anderer, mitteleuropäischer „Volksgruppen“
zu belegen versuchte.
Sie hielt die „Zigeuner“ für
„primitiv“, was sie u. a. an ihrer angeblich beharrlichen
Nichtsesshaftigkeit festmachte. Diejenigen,
die doch sesshaft wurden und einen bürgerlichen
Beruf ergriffen, waren in ihrer Wahrnehmung sog.
„Zigeunermischlinge“ mit einem hohen deutschen
„Erbanteil“.
Teile der von ihr, Robert Ritter, Eva Justin und Adolf Würth 1938-42 erhobenen Daten verwendete sie in ihrer Habilitationsschrift von 1950 und später in einigen Aufsätzen. Unter ihrer Anleitung entstanden zwei Doktorarbeiten zu den „Hautleisten“ von „Zigeunern“, die – das wurde auch für die „Juden“ versucht – nach verlässlichen anthropometrischen Merkmalen suchten, um Menschen einer bestimmten „Rasse“ zuordnen zu können. Für die weitere Auswertung des „Zigeunermaterials“ erhielt sie 1966-70 finanzielle Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Ehrhardt war im Gegensatz zu radikalen Antiziganisten wie Hermann Arnold nicht daran beteiligt, die seit Jahrhunderten gegen „Zigeuner“ bestehenden Vorurteile auch nach 1945 publizistisch weiter zu verbreiten. Sie hatte jedoch keinerlei Bedenken, die „Zigeunermaterialien“ für ihre Forschungen zu verwenden.
So stehen die erhalten gebliebenen Kopfmodelle für eine Wissenschaft, die Menschen anhand von äußerlichen körperlichen Merkmalen in „rassisch“ defi- nierte Gruppen einteilte oder versuchte, ihren Verwandtschaftsgrad herauszufinden. Im Bereich der biologischen Anthropologie ist dieser Ansatz stark in den Hintergrund getreten – Verwandtschaftsverhältnisse können besser mit genetischen Methoden festgestellt werden.
Bernd Grün
- Hägele, U. (Hrsg., 1998): Sinti und Roma und Wir. Ausgrenzung,
Internierung und Verfolgung einer Minderheit. Tübingen.
- Martin, R. / Saller, K. (Hrsg., 1957): Lehrbuch der Anthropologie
in systematischer Darstellung mit besonderer Berücksichtigung
der anthropologischen Methoden, begründet von Rudolf Martin.
3., völlig umgearbeitete und erweiterte Auflage von Karl Saller.
Band I (mit 312 Abbildungen und 8 Musterformularen). Stuttgart.
- Universitätsarchiv Tübingen, UAT 288/5 [Reisebericht von Sophie
Ehrhardt, ca. 1980].
- Zimmermann, M. (1996): Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische
„Lösung der Zigeunerfrage“. Hamburg.
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