Wachsmodell einer präparierten männlichen LeicheMon Tramond; um 1888;
signiert:
„Mon Tramond / Préparateur & fournisseur des Facultés / Anatomie Histoire
Naturelle / Paris / 9, Rue de l’Ecole de Médecine“;
Wachs, Knochen, Naturhaar,
Draht, Faden, Papier, Tuch,
Holz, Metall; ca. 30 x 133,5 x 63 cm (mit Holzsockel); Paris;
Anatomisches Institut, Universität Tübingen
(Foto: Manfred Mauz)
Kopf des Wachsmodells. (Foto: Alfons Renz)
Papierschild von Tramond auf der Tuchunterlage.
(Foto: Manfred Mauz)
Das Modell zeigt einen Körper mit abgesetzten Gliedmaßen auf einem Tuch liegend und auf einer schwarzen Holzplatte montiert. Die intakte linke Seite beeindruckt durch ein Gesicht mit echtem Haupthaar und Bartstoppeln, dessen naturalistischer Ausdruck die mit dem Tod verbundenen Emotionen wachruft und Respekt gebietet. Die rechte Körperseite ist als präparierter Situs dargestellt und zeigt am Kopf die Schädelhöhle, die tiefe Gesichtsregion mit Mundhöhle und am Hals den Kehlkopf sowie Plexus cervicalis und brachialis. Im Thorax wird das Herz mit den großen Gefäßen im eröffneten Herzbeutel dargestellt sowie die Speiseröhre mit N. vagus. Im Bauchraum blickt man auf einen eröffneten Magen; unter dem nach links verlagerten Dünndarmkonvolut erkennt man die Bauchaorta und Nervengeflechte. Der Dickdarm lässt sich bis in das eröffnete Becken verfolgen, wo eine gefüllte Harnblase sowie ein Penis mit Hoden, Samenstrang und Prostata modelliert sind.
Die Arbeit stammt aus der Werkstatt Mon Tramond, Paris, die seit der Mitte des 19. Jh. bis 1929 anatomische Präparate von so hoher Qualität anfertigte, dass sie zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhielt. Charakteristisch für die Arbeitstechnik von Tramond ist, dass die aus farbigem Wachs geformten Organe, Muskeln und Haut um ein echtes Skelett herumgebaut wurden. Dies steht im Gegensatz zur italienischen Tradition, welche auf natürliche Stützelemente verzichtet und eine Metallkonstruktion verwendet. Gemeinsam ist beiden Arbeitsweisen, dass Nerven und Lymphgefäße durch in Wachs getauchte Drähte oder Seidenfäden dargestellt werden. Das vorliegende Modell wurde wahrscheinlich 1888 von P. J. W. Henke angeschafft – wobei der Ankauf „verschiedene(r) Skelette“ von Vasseur-Tramond mit mehr als 1948 Mark zu Buche schlug und damit die bei weitem höchste Ausgabe für Unterrichtsmaterialien des Etatjahrs 1887/88 darstellte.
Die Kunst der Wachsbildnerei zur Herstellung von medizinischen Modellen und anatomischen Präparaten geht auf das 17. und 18. Jh. zurück. Zentren befanden sich in Florenz, wo z. B. die Modelle der berühmten Sammlung des Wiener Josephinum entstanden, am Londoner Guy’s Hospital, in Paris sowie in Jena. Besondere Bedeutung erlangten die Wachsmoulagen in der Dermatologie, da sie eine sehr naturgetreue Darstellung der pathologischen Hautveränderungen erlaubten.
Bei der Weiterentwicklung der anatomischen Modelle vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Tübingen Gipsabdrücke von in senkrechter Stellung fixierten Leichen genommen und koloriert. Die danach einsetzende Verwendung verschiedener Kunststoffe ermöglichte sodann die (auch kommerzielle) Herstellung von qualitativ hochwertigen anatomischen und naturhistorischen Modellen, deren Ziel nicht primär die naturalistisch exakte Wiedergabe, sondern die didaktisch angemessene und geschickte Darstellung ist. Für den anatomischen Unterricht im Rahmen des Medizinstudiums sind in neuerer Zeit Anschauungsobjekte unverzichtbar, bei denen Dauerpräparate durch Plastination von fixierten Organen oder Leichen hergestellt werden.
Hans-Joachim Wagner, Oliver Elbs
- Le Minor, J.-M. / Puygrenier, J. (1989)
: La collection de cires
anatomiques de l’École du Service de Santé des Armées de Lyon.
Histoire des Sciences Médicales 23 : 131-8.
- Skopec, M. / Gröger, H. / Koller, A. (2002): Anatomie als Kunst.
Anatomische Wachsmodelle des 18. Jahrhunderts im Josephinum
in Wien. Wien.
- Staatsarchiv Ludwigsburg, StAL E 226/192: Bände 664, 666.
[Institut-Etats für die Jahre 1885/86 und 1887/88.
- Mit Dank an
Dorothea Bader].
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