Amphora mit Nike
Berliner Maler (Zuschreibung); Athen, um 470 v. Chr.; attisch rotfigurige Halsamphora
mit Strickhenkeln;
Ton; in zahlreiche Fragmente zerbrochen und restauriert; Fehlstellen;
47 cm (Höhe); ehem. Slg. Stegner,
Bietigheim;
Institut für Klassische Archäologie, Schloss Hohentübingen
(Foto: Thomas Zachmann)
(links): Amphora Mus. Schloss Hohentübingen Inv. 767:Frau mit Wollkorb
(rechts): Rückseite: Manteljüngling.
(Fotos: Thomas Zachmann)
Inschriften.
(Foto: Thomas Zachmann)
Auf der Vorderseite des mit dunklem Glanzton überzogenen Gefäßes eilt eine geflügelte Frau mit weit ausgreifendem Schritt nach links. In der Linken trägt sie eine brennende Fackel, die Rechte hält eine Spendeschale vor der Brust. Unterhalb der Fackel steht die Inschrift: KA ONIKE . Das Wort meint eine erhöhende Bezeichnung der Siegesgöttin Nike, die damit gewissermaßen zur ‚Supernike’ wird. Die Rückseite zeigt einen bekränzten jungen Mann im Mantel . Die linke Hand hält den Mantel von innen so, dass die Falten außen eine Schnecke bilden. Der rechte Arm mit der geöffneten Hand ist gerade nach vorne ausgestreckt. Darunter steht: XAPMIAEZ, hinter dem Jüngling: Dabei handelt es sich um eine sogenannte Lieblingsinschrift, mit denen die Vasenmaler in Athen vor allem in der Zeit zwischen 510 und 450 die Schönheit junger Leute priesen. Obwohl Charmides auf ca. 20 weiteren Vasenbildern genannt ist, kann er nicht mit einer historisch bekannten Person identifiziert werden.
Qualität und Flüssigkeit der Ausführung weisen auf eine führende und produktive Werkstatt Athens in der Zeit um 470 v. Chr. Verschiedene Details der Zeichnung wie die ‚Mantelschnecke‘, Augenbildung oder Angabe der Fußknöchel finden ihre unmittelbaren Vergleiche in der Spätphase des sog. ‚Berliner Malers‘ und seinem Umkreis.
Für Thematik und Ikonographie der Figuren finden sich zahlreiche Vergleiche in der Zeit zwischen 480 und 465 v. Chr. Besonders häufig sind Flügelfrauen mit Fackeln, Schalen oder ähnlichen Attributen. Ihre Identifizierung mit der Siegesgöttin Nike wird erstmalig durch die Inschrift unserer Amphora gesichert. Der historische Hintergrund für die gerade in dieser Zeit so beliebten Darstellungen von Niken und Siegesopfern sind die militärischen Erfolge der Griechen über die Perser bei Marathon (490), Salamis (480) und Plataiai (479), durch die nicht nur die persische Gefahr gebannt wurde, sondern infolge derer Athen erst zu seiner politischen Vormachtstellung aufsteigen konnte. Der Manteljüngling verweist auf die dadurch ermöglichten zivilisatorischen Errungenschaften der demokratisch organisierten Bürgerschaft, auf die Athen besonders stolz war. Als Leitbild des männlichen Selbstverständnisses entspricht ihm auf einer anderen Amphora in Tübingen die ehrbare Ehefrau mit dem Wollkorb. Vorder- und Rückseitenbild vermitteln damit eine komplementäre, vom zeitgenössischen Betrachter leicht zu rezipierende Botschaft, deren breite gesellschaftliche Akzeptanz aus der massenhaften Verbreitung dieser Motive hervor geht. Die Adressatenschicht erschließt sich aus der Funktion dieser Amphoren für Wein oder Wasser bei gemeinschaftlichen Treffen der männlichen Elite.
Die Strickhenkelamphora wurde 2005 im Hinblick auf die Lehre erworben, weil sie modellhaft Rezeptions- und Affirmationsprozesse erschließen lässt, die für visuelle Kommunikationsformen der Antike paradigmatisch sind.
Thomas Schäfer
- Böhr, E. (1984): Corpus Vasorum Antiquorum. Band 52: Tübingen,
4. München : 14 f., Taf. 2.
- Datenbank des Beazley-Archivs, Oxford:
http://www.beazley.ox.ac.uk
- Isler-Kerényi, C. (1971): Ein Spätwerk des Berliner Malers.
Antike Kunst 14 : 25-30.
- Kurtz, D. C. (1983): The Berlin Painter. Oxford.
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