38 Dinge Ausstellung der Universität Tübingen

 

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Zur Einführung

Es sind unterschiedliche Dinge, die sich im Mai 2006 im Kleinen Senat für zehn Tage der Betrachtung aussetzen. Ein Emu, ein australischer Laufvogel, steht neben den Zettelkästen Hermann Fischers, in denen die Belege für ein Schwäbisches Ortsnamenlexikon zusammengetragen sind. Das Reagenzglas, in dem der Chemiker Friedrich Miescher in der Küche des Tübinger Schlosses erstmals Untersuchungen an der Nucleinsäure vornahm, macht neben zwei Radierungen von Rembrandt auf sich aufmerksam. Und das Rektorszepter aus der Gründungszeit der Universität sieht sich in einer seltsamen Nachbarschaft mit einem Mosasaurier Platecarpus coryphaeus. In der klassisch museologischen Terminologie sind es Naturalia und Artificialia, die unter dem Titel „38 Dinge" vereint sind. Es ist eine Versammlung von Objekten, die in ihrer Heterogenität, so belehrt uns die Geschichte des akademisch-institutionellen Sammelns, durchaus dem entspricht, was Universitätsmuseen, als sie einst gegründet wurden, wollten - nämlich den „Macrocosmos in Microcosmo" zeigen. Sie waren stets dem Gedanken der ‚universitas' verpflichtet und spiegelten diesen.

„38 Dinge" - der Titel signalisiert, dass der Ausstellung nicht an einem systematisch-repräsentativen Überblick über die Objektbestände der universitären Sammlungen gelegen ist, sondern dass sie - bescheiden wie sie dimensioniert ist - lediglich eine Vorstellung von der Breite, der Absicht und der Ausrichtung der Sammlungen vermitteln helfen will. Ihr geht es darum, zu zeigen, wie, wann und warum die Sammlungen zustande gekommen sind, aber auch, dass Teile von ihnen immer wieder in Vergessenheit geraten, der zeitweiligen Interesselosigkeit und zuweilen auch der Vernichtung anheim gefallen sind. Dennoch: Umfang und Reichtum der Tübinger Sammlungen sind beachtlich. Sie lassen es als sinnvoll erscheinen, das vorgesehene Museum der Universität nicht nur institutionengeschichtlich, sondern vor allem wissens- und wissenschaftsgeschichtlich auszurichten. Mit dem Museum hätte die Universität einen Ort, an dem der Dialog mit ihrer eigenen Geschichte und auch mit unterschiedlichen Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft, Kunst und Kultur geführt werden kann - übrigens auch mit dem Ziel, dem in den letzten Jahren viel diskutierten ‚public understanding of science and humanities' zu dienen.

Rechnet man die Angaben hoch, die die Sammlungsinstitute im Rahmen einer Enquête der Zentralen Verwaltung im Wintersemester 2004/2005 gemacht haben, dann kommt man auf weit über 100 000 Objekte - und dabei sind die aufgespießten Käfer, Gesteinsproben, Münzen etc. nicht einmal einzeln, sondern en bloc gezählt. Die „38 Dinge" sind also weit davon entfernt, die Sammlungsbestände paradigmatisch zu repräsentieren. Hinter den „38 Dingen" verbirgt sich eine Veranstaltung, die vor allem einen Verweischarakter hat. Sie will darauf hinweisen, dass die Universität das „Zeugs" dazu hat, ein Gesamtmuseum zu planen und aufzubauen - ein Museum, in dem der Gedanke der ‚universitas' zur prägenden Leitidee werden kann. Und dies ist vielleicht kein schlechter Gedanke in einer Zeit der fortschreitenden Spezialisierung und zunehmenden Ausdifferenzierung der Wissensproduktion.
Es geht darum, mit dem neu zugeschnittenen Museum eine Institution zu entwerfen, in der die Idee der Universität als Produzent von Wissen und Deutungen überzeugend veranschaulicht und der Zugang zur Tradition der Universität und zur Geschichte der Wissenschaften als Motor für ihre Entwicklung eröffnet wird. Die Tübinger Universität ist für solch eine Aufgabe in besonderer Weise geeignet - zum einen, weil ihre Sammlungen den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstanden haben, zum anderen, weil sie die erste deutsche Universität mit einer modernen naturwissenschaftlichen Fakultät war und deshalb schon früh Dialogkompetenz über Fach- und Fakultätsgrenzen hinweg erlernt hat. Schließlich bieten sich auch ihre Gebäude topographisch und baugeschichtlich als Informationsträger in Bezug auf eine mehr als 500jährige Wissenschaftsgeschichte dar. Dass die „38 Dinge" sich im Kleinen Senat präsentieren und so den Veranstaltungsort selbst zum wissenschaftshistorisch aufschlussreichen Exponat, zum Exponat Nr. 1, machen können, ist ein glücklicher Umstand. Der Kleine Senat bietet fast beispielhaft das Bild dafür, dass Geschichte und Gegenwart der Universität sich gegenseitig bespiegeln.
„38 Dinge" - das Konzept hält sich offen für die große Unterschiedlichkeit der Objekte und Objektarten, die in den universitären Sammlungen aufbewahrt werden. Es steht in einer gewissen - durchaus auch ironischen - Spannung zu den „Schätzen", von denen der Untertitel spricht. Der Begriff Schatz taucht dort mit einem leichten Augenzwinkern auf, denn der gilt nicht nur den Szeptern, den Münzfunden, den päpstlichen Urkunden, also den Dingen mit hohem Versicherungswert, sondern auch den selbstgebastelten Mikroskopen, Reagenzgläsern und Zettelkästen - also Dingen mit hohem „Wissenswert".
Die „38 Dinge" bieten keine Parade der Hochwertigkeit, sondern eine Anordnung von Objekten, die auskunftsfähig sind und ihren Wert und ihre Bedeutung in unterschiedlichen Zeigeordnungen evident machen. So ist die Ausstellung durchaus schatzbildend. Sie wertet bisher vernachlässigte Objekte auf. Nicht ohne Grund sind deshalb die Objekte aus den unbekannten, verborgenen und wilden Sammlungen der Universität stärker vertreten als die der wohlbekannten und etablierten Einrichtungen, wie dem Schlossmuseum oder der paläontologischen Schausammlung. Diese bilden zwar die bewährten Eckpfeiler der Tübinger Museumsplanungen, bieten Maß und Orientierung für die zukünftigen Überlegungen, werden aber ergänzt, erweitert und bereichert durch all die Sammlungen, die bisher vor allem einen internen Wert für die jeweiligen Institute und Labore hatten.
Allerdings ist es nicht allein die Ausstellung im Kleinen Senat, die den Planungen für ein Museum der Universität Stoff und Richtung geben soll. Auch im Rahmen einer Ringvorlesung im Studium Generale des Sommersemesters 2006 werden Probleme und Perspektiven der neuen Einrichtung aufgerufen und erörtert. Dabei sind die Interessen und Intentionen der großen „Schatzkammern" ebenso berücksichtigt wie die der verborgenen, aber in der Lehre durchaus effizienten kleinen und auch heimlichen Sammlungen.

Die Universität denkt über die Konzeption und Erweiterung ihrer musealen Präsentationen in einer Zeit nach, in der sie erstens auf Probleme einer immensen Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts und zweitens auf die verstärkt vorgetragenen Forderungen nach einer Ausweitung der Wissenskommunikation reagieren muss. Beschleunigung des Erkenntnisfortschritts bedeutet rasche Veraltung, Veraltung bedeutet Reliktanfall, der, wenn er in produktiver Form erschlossen wird, das Deponieren verlangt - dies übrigens auch, wie uns die neuere Wissenschaftsforschung lehrt, im Zeichen der digitalen Speichermedien. Es scheint, als finde gerade in der Gegenwart die Materialität der Forschung, also die „Epistemik der Dinge", wie das bei Hans-Jörg Rheinberger heißt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Damit zusammen hängt der in der Öffentlichkeit immer lauter werdende Ruf nach neuen Strategien der Wissenskommunikation. Auch diese greift ebenfalls wieder vermehrt auf die Konkretheit der Anschauung, auf die Chancen einer über das „Zeigen" gewonnenen Erkenntnis zurück. Jedenfalls war dies eine der Überlegungen, die im Rahmen der Programme für die Wissenspopularisierung angestellt worden sind. Dabei hat insbesondere ‚public understanding of science' intensiv auf expositorische Versuchsanordnungen gesetzt, wie sie Museen und Ausstellungen zu bieten imstande sind. Und gerade in Baden-Württemberg wurde vor nicht langer Zeit empfohlen, über intelligente „Transfereinrichtungen" neben den Universitäten Wissens- und Innovationsimpulse in die Gesellschaft zu vermitteln. Auch da wird dem Museum als einer Institution, die trotz ihres Bewahrungsauftrags immer auch eine beachtliche Dynamik in puncto ‚public understanding' entfaltet hat, hoher Rang zugemessen.

Die Gestaltung der Ausstellung „38 Dinge" folgt einer klassisch museologischen Ordnung, in die ebenfalls das Schema von Deponieren und Exponieren eingetragen ist. Zwei Glaskuben mit Regalinstallationen stehen für das Deponieren, und ein Tisch, auf dem Kleinvitrinen mit Schaustücken aufmontiert sind, steht für das Exponieren - das gelehrsame Ausbreiten der Dinge, um diese dem „langen Blick" darzubieten. Dabei ist der Tisch übrigens selbst ein aufschlussreiches Exponat: Er gehört zu der mit innenarchitektonischer Ambition geplanten Erstausstattung des Kleinen Senats, wurde dann aber irgendwann entsorgt, zersägt und ins Abseits gestellt. Als Exponat Nr. 2 kommt er in der Reihe der „38 Dinge" wieder „zu Ansehen". Er belegt - quasi wie beiläufig - das Schicksal nicht weniger Objekte der universitären Sammlungen. Er zeigt, wie das Wechselspiel von Deponieren und Exponieren zur aktiven Wiederaneignung des Vergessenen und Verlorenen beitragen kann. Denn die „38 Dinge" haben neben ihrer Funktion, den Reichtum und die Vielfalt der Universitätssammlungen in der Öffentlichkeit vorzuführen und solcherart die Konturen eines künftigen Museums der Universität erkennbar zu machen, die nicht unwichtige und nicht geringfügige Aufgabe, universitätsintern Sensibilität und Aufmerksamkeit für das eigene historische Erbe zu wecken und zu erweitern.

Gottfried Korff