Die Entdeckung der Nukleinsäure
Friedrich Miescher forscht im Schlosslabor
Mit dem Plan, die Chemie einzelner, einfacher Zellen zu erforschen, widmete sich Friedrich Miescher ab Herbst 1868 im Schlosslabor den Leukozyten, den weißen Blutkörperchen. Um an Leukozyten zu gelangen, wählte er eine wenig appetitliche, aber sehr ergiebige Quelle: Er sammelte im Tübinger Krankenhaus benutzte Wundverbände, um aus dem Eiter die darin enthaltenen weißen Blutzellen auszuwaschen.
Nach aufwändigen Untersuchungen stieß er zu Beginn des Jahres 1869 in den Zellkernen auf eine völlig neuartige Substanz. Er nannte sie »Nuklein« (Aussprache: nu-kle-ihn) – nach dem lateinischen Wort für Kern, nucleus. Um diese Kernsubstanz genauer zu untersuchen, setzte Miescher das Verdauungs-Enzym Pepsin ein, das er aus Schweinemägen gewann. Mit Hilfe des Enzyms ließen sich die Proteine der Eiterzellen so vollständig zersetzen, dass nur noch das reine Nuklein übrig blieb.
Miescher führte mit dem isolierten Stoff Elementaranalysen durch und konnte das Nuklein als eine bis dahin völlig unbekannte Zellsubstanz mit einem hohen Anteil an Phosphor charakterisieren. Über die Bedeutung des Nukleins konnte er bloß spekulieren. Heute wissen wir, dass er nichts Geringeres entdeckt hat als die Substanz, in der unsere Erbinformation codiert ist: die DNA. Sie trägt bis heute die Bezeichnung »Nuklein« im Namen, denn DNA oder deutsch DNS steht für »Desoxyribonukleinsäure«.
Aus Mieschers Hand ist ein originales Präparat mit isolierter DNA erhalten, das in der Dauerausstellung im Schlosslabor Tübingen zu sehen ist. Es trägt die Aufschrift "Nuclein aus Lachssperma / F. Miescher" und dürfte um 1871 entstanden sein, als Miescher in Basel seine Untersuchungen mit Rhein-Lachsen fortsetzte. Die Publikation seiner Arbeit erfolgte erst 1871 im vierten Band von Felix Hoppe-Seylers "Medicinisch-chemischen Untersuchungen", da Hoppe-Seyler zunächst skeptisch war und Mieschers Versuche ausführlich prüfte.