Beim Schatz des Monats Februar 2025 handelt es sich um einen Kinderbecher aus der Bronzezeit aus der Originalsammlung des Instituts für Klassische Archäologie: Ein Blick in die troianische Kinderstube.
Das kugelförmige Kännchen aus der Frühbronzezeit Troia, entdeckt von Heinrich Schliemann in der zweit- oder drittältesten Schicht des Siedlungshügels,[1] ist ein faszinierendes Artefakt, das uns Einblicke in den Alltag einer frühbronzezeitlichen Siedlung gewährt. Hergestellt aus braunrotem, kalk- und schieferhaltigem Ton, zeigt es Merkmale, die typisch für die sogenannte „Nubbly Ware“ sind. Diese Keramik zeichnet sich durch ihre vergleichsweise unebene Oberfläche aus, die oft ein grobes und rustikales Erscheinungsbild vermittelt. Die unregelmäßige Farbgebung des Kännchens, die zwischen verschiedenen Rot- und Brauntönen variiert, könnte auf einen sekundären Brand zurückzuführen sein. Solche Ereignisse waren in frühbronzezeitlichen Siedlungen keine Seltenheit. Ob durch ein großes Feuer innerhalb der Siedlung oder durch andere Umstände verursacht, diese Brandspuren verleihen dem Gefäß eine besondere historische Tiefe und machen es zu einem einzigartigen Zeugnis vergangener Zeiten.
Besonders bemerkenswert ist die Gestaltung des Kännchens. In der Mitte des kugelförmigen Körpers wurde eine kurze, zylindrische Ausgusstülle angebracht, die leicht nach innen ragt. Diese Konstruktion ermöglicht es, dass Flüssigkeiten bereits bei geringer Befüllung ausfließen können. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gefäßes befindet sich ein leicht unterrandständiger Vertikalhenkel, der das Handling erleichtert. Die Kombination aus Tülle und Henkel deutet darauf hin, dass das Kännchen für die Verwendung im Alltag konzipiert war – sei es zum Ausgießen von Flüssigkeiten oder als Trinkgefäß. Eine spannende Frage ist die Funktion dieses Kännchens. Natürlich könnte es vielfältige Rollen im Alltagsleben der bronzezeitlichen Bewohner erfüllt haben. Vielleicht diente es zum Servieren von Getränken bei gemeinsamen Mahlzeiten, vielleicht wurde es aber auch für religiöse oder rituelle Zwecke eingesetzt. Besonders interessant ist jedoch die Deutung als Kinderbecher. Die geringe Füllmenge und die einfache Handhabung könnten darauf hindeuten, dass das Gefäß speziell für Kinderhände gedacht war. Diese Interpretation ist zwar nicht eindeutig belegbar, erscheint aber durchaus plausibel und verleiht dem Kännchen eine besondere emotionale Note.
Das kugelförmige Kännchen illustriert nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten der Bewohner in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr., sondern auch ihren Einfallsreichtum und ihre Anpassungsfähigkeit an die Herausforderungen des Alltags. Es zeigt, wie funktionale und ästhetische Aspekte miteinander verschmolzen, um ein Gefäß zu schaffen, das nicht nur praktisch, sondern auch ansprechend war. Darüber hinaus liefert das Kännchen wertvolle Informationen über die sozialen und kulturellen Praktiken der frühbronzezeitlichen Gesellschaft. Es lässt uns erahnen, wie eng das Leben der Menschen mit der Nutzung von Keramik verbunden war – sei es für die Aufbewahrung von Nahrungsmitteln, die Zubereitung von Speisen oder als Gefäß für besondere Anlässe. Jedes Detail, von der Materialwahl bis zur Oberflächengestaltung, erzählt eine Geschichte über die Menschen, die dieses Gefäß einst benutzten.
Insgesamt bietet das von Heinrich Schliemann entdeckte kugelförmige Kännchen einen faszinierenden Blick in die Vergangenheit Troias. Es erinnert uns daran, dass selbst Alltagsgegenstände wie dieses scheinbar einfache Kännchen eine wichtige Rolle dabei spielen, die Geschichte einer Gesellschaft zu erzählen. Indem wir uns mit solchen Artefakten beschäftigen, können wir nicht nur ihre materielle Beschaffenheit, sondern auch die Geschichten und Lebensweisen der Menschen hinter diesen Objekten besser verstehen. So wird Geschichte lebendig und greifbar – und das ist es, was archäologische Funde wie dieses Kännchen so besonders macht.
Stephan W. E. Blum
[1] Hubert Schmidt, Heinrich Schliemann’s Sammlung trojanischer Altertümer, Berlin 1902, S. 78 u. Nr. 1881 – 1821, 18, Nr. 390 – 392.