Bedeutende wissenschaftliche Leistungen
Lehrbuch der organischen Chemie
Julius Eugen Schloßbergers „Lehrbuch der organischen Chemie“ mit einem Schwerpunkt auf der physiologischen Chemie war sehr beliebt und erlebte ab 1850 fünf Auflagen innerhalb von nur zehn Jahren. Es gehört zu den ganz frühen publizistischen Beispielen, in denen eine Überblicksdarstellung des biochemischen Wissensstandes der Zeit versucht wurde. Es zeigt durch seine Gliederung nach Stoffgruppen noch die Orientierung der frühen Biochemie an einzelnen Substanzen anstatt an physiologischen Vorgängen.
„Handbuch der physiologisch- und pathologisch-chemischen Analyse“
Eine große Bedeutung für die Etablierung des Faches Biochemie erlangte Felix Hoppe-Seylers „Handbuch der physiologisch- und pathologisch-chemischen Analyse für Ärzte und Studierende“, das noch lange nach seinem Tod fortgeschrieben wurde und über hundert Jahre hinweg in insgesamt zehn Auflagen und Bearbeitungen erschienen ist. In diesem Lehrbuch beschreibt er ausführlich die Analysetechniken im Labor, deren Beherrschung für die Arbeit in der physiologischen Chemie die Grundlage darstellen.
Hämoglobin-Forschung
Zu Felix Hoppe-Seylers großen wissenschaftlichen Verdiensten gehören seine systematischen Studien zum roten Blutfarbstoff, den er 1864 „Hämoglobin“ benannte – ein Forschungsgebiet, das auch seine Nachfolger in Tübingen bis ins 20. Jahrhundert hinein weiterführten. Dass die Erforschung des Blutes als „Lebenssaft“ von besonderem Interesse für die Biochemie war, liegt auf der Hand. Friedrich Ludwig Hünefeld hatte 1840 als erster den Blutfarbstoff beschrieben, „der die Luft absorbirt enthält“.
Wie dieser Stoff chemisch aufgebaut ist, wie er bei der Atmung Sauerstoff aufnimmt und in welchen Varianten er bei Mensch und Tier vorkommt, das waren einige der Fragen, denen Hoppe-Seyler in langjährigen Studien nachging. Er isolierte das Hämoglobin in sehr reiner Form und konnte damit Elementaranalysen beginnen, also die chemische Zusammensetzung der Substanz untersuchen. Er beschrieb als erster die reversible Sauerstoff-Bindung des Hämoglobins und entdeckte auch das Derivat Methämoglobin.
Ferner führte Hoppe-Seyler die Spektralanalyse für die Untersuchung von Körperflüssigkeiten in die Biochemie ein und fand durch diese Methode heraus, dass in verschiedenen Säugetieren und im Menschen dieselbe Art von Hämoglobin im Blut vorliegen müsse.
Hoppe-Seylers Nachfolger Gustav Hüfner ermittelte unter anderem die maximale Sauerstoffbindung an das Hämoglobin – dieser Wert ist bis heute unter dem Namen „Hüfner-Zahl“ bekannt.
Auch Hüfners Assistent William Küster forschte zum roten Blutfarbstoff. Nach seinem Weggang aus Tübingen 1903 gelang es ihm sogar, für das komplizierte Häminmolekül eine Formel aufzustellen. Sie wurde später von Hans Fischer durch die Synthese des Stoffes weitgehend bestätigt. Fischer erhielt hierfür 1930 den Nobelpreis – hätte Küster zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, wäre er womöglich gemeinsam mit Fischer ausgezeichnet worden. Bereits 1913 war er für den Nobelpreis vorgeschlagen worden.
Um den Hämoglobin-Gehalt im Blut zu bestimmen, griff man auf sogenannte kolorimetrische Methoden zurück, also die Bestimmung der Stoffkonzentration durch Farbvergleich. Beim Farbstab-Hämometer wird im mittleren Röhrchen eine Salzsäure-Lösung der Blutprobe so lange verdünnt, bis die Farbe genau mit den Vergleichsröhrchen übereinstimmt. Auch Hoppe-Seyler hatte ein Hämoglobinometer entwickelt, das aber umständlicher zu bedienen war als andere Apparate, so dass es sich nicht durchsetzte.
Die Entdeckung der Nukleinsäure
Mit dem Plan, die Chemie einzelner, einfacher Zellen zu erforschen, widmete sich Friedrich Miescher ab Herbst 1868 im Schlosslabor den Leukozyten, den weißen Blutkörperchen. Um an Leukozyten zu gelangen, wählte er eine wenig appetitliche, aber sehr ergiebige Quelle: Er sammelte im Tübinger Krankenhaus benutzte Wundverbände, um aus dem Eiter die darin enthaltenen weißen Blutzellen auszuwaschen.
Nach aufwändigen Untersuchungen stieß er zu Beginn des Jahres 1869 in den Zellkernen auf eine völlig neuartige Substanz. Er nannte sie „Nuklein“ (Aussprache: nu-kle-ihn) – nach dem lateinischen Wort für Kern, nucleus. Um diese Kernsubstanz genauer zu untersuchen, setzte Miescher das Verdauungs-Enzym Pepsin ein, das er aus Schweinemägen gewann. Mit Hilfe des Enzyms ließen sich die Proteine der Eiterzellen so vollständig zersetzen, dass nur noch das reine Nuklein übrig blieb.
Miescher führte mit dem isolierten Stoff Elementaranalysen durch und konnte das Nuklein als eine bis dahin völlig unbekannte Zellsubstanz mit einem hohen Anteil an Phosphor charakterisieren. Über die Bedeutung des Nukleins konnte er bloß spekulieren. Heute wissen wir, dass er nichts Geringeres entdeckt hat als die Substanz, in der unsere Erbinformation codiert ist: die DNA. Sie trägt bis heute die Bezeichnung „Nuklein“ im Namen, denn DNA oder deutsch DNS steht für „Desoxyribonukleinsäure“.
Aus Mieschers Hand ist ein originales Präparat mit isolierter DNA erhalten, das in der Dauerausstellung im Schlosslabor Tübingen zu sehen ist. Es trägt die Aufschrift „Nuclein aus Lachssperma / F. Miescher“ und dürfte um 1871 entstanden sein, als Miescher in Basel seine Untersuchungen mit Rhein-Lachsen fortsetzte. Die Publikation seiner Arbeit erfolgte erst 1871 im vierten Band von Felix Hoppe-Seylers „Medicinisch-chemischen Untersuchungen“ , da Hoppe-Seyler zunächst skeptisch war und Mieschers Versuche ausführlich prüfte.
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Gründung der „Zeitschrift für physiologische Chemie“
Über viele Jahre hinweg wünschte sich Felix Hoppe-Seyler, es möge doch eine eigene Fachzeitschrift für die physiologische Chemie geben. Noch in den 1860er Jahren mangelte es an geeigneten Publikationsmöglichkeiten. Daher rief Hoppe-Seyler 1866 die Reihe „Medicinisch-chemische Untersuchungen“ ins Leben, die den Untertitel trug: „Aus dem Laboratorium für angewandte Chemie zu Tübingen“. Er publizierte darin seine eigenen Studien ebenso wie die Forschungsergebnisse seiner Mitarbeiter im Schlosslabor.
Nach dem Erscheinen eines vierten Bandes wurde die Reihe jedoch 1871 eingestellt, zu eng erschien Hoppe-Seyler nun die Beschränkung auf die Tübinger Forschung. Doch die Idee einer Fachzeitschrift begleitete ihn bis an die neue Wirkungsstätte nach Straßburg. 1877 schließlich gründete er die „Zeitschrift für Physiologische Chemie“ als erstes Fachblatt für die Biochemie. Nach seinem Tod wurde sie als „Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für Physiologische Chemie“ fortgeführt, heute heißt sie „Biological Chemistry“.
Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln
Mit dem Namen des Botanikers Carl Correns ist die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln verbunden, also der Vererbungsregeln, die Gregor Mendel in den 1860er Jahren aufgestellt hatte, deren Publikation aber zunächst wenig Beachtung fand. Correns erkannte bei seinen Kreuzungsexperimenten mit Pflanzen in Tübingen, dass es Ausnahmen von diesen Regeln gibt, die es zu erklären galt. Er wurde damit zu einem wichtigen Impulsgeber für die spätere Genetik.
Zellfreie Gärung (Nobelpreis für Eduard Buchner)
Eduard Buchner erhielt im Jahr 1907 den Nobelpreis für eine Entdeckung, die er 1896 während eines Besuchs bei seinem Bruder in München machte. Er hatte sich schon zuvor mit den chemischen Vorgängen bei der Gärung beschäftigt und kannte die gängige Theorie, wonach die Gärung durch eine spezielle Fähigkeit lebender Hefezellen ausgelöst werde. Deshalb war er sehr erstaunt, beim Mischen von (zellfreiem) Hefepresssaft mit Zucker eine Bläschenbildung zu erkennen, die auf Gärung hinwies.
Zurück in Tübingen, konnte er auch im Labor nachweisen, dass Extrakte aus Hefezellen die Vergärung des Zuckers zu Alkohol und Kohlendioxid bewirken können, und publizierte diesen Befund im folgenden Jahr. Dies war ein bedeutender Schritt in der Geschichte der Biochemie, denn damit war erwiesen, dass es nur bestimmter Substanzen bedarf – Enzyme –, um komplexe biochemische Vorgänge anzustoßen, und nicht einer ganzen lebenden Zelle, wie viele zuvor geglaubt hatten.
Forschungen zum Citratzyklus
Studien über den Stoffwechsel der Fettsäuren und den Abbau der Zitronensäure im Körper führten Franz Knoop und seinen Assistenten Carl Martius zu einem komplexen Vorgang, der heute als Zitronensäure- oder Citratzyklus bekannt ist. In den Citratzyklus münden mehrere wichtige Stoffwechselwege, auch die der Kohlenhydrate. Er spielt eine wichtige Rolle bei der Energiegewinnung, indem das Zucker-Spaltprodukt Pyruvat weiter abgebaut und der „Verbrennung“ in der sogenannten Atmungskette zugeleitet wird.
Gemeinsam klärten Knoop und Martius in Tübingen viele wichtige Schritte in diesem Zyklus auf, verkannten aber dessen Kreislaufcharakter. Den Vorgang korrekt als Kreislauf zu rekonstruieren gelang Hans Adolf Krebs, der sich zwar in anderer Hinsicht irrte, für die Aufdeckung des Citratzyklus aber 1953 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Martius und Knoop, der zu dieser Zeit bereits verstorben war, gingen leer aus.
Erforschung der Insektenhormone und -pheromone
Was löst biochemisch die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling aus? Diese Frage beantwortete der Nobelpreisträger Adolf Butenandt, als ihm 1954 die erste Isolierung und Analyse eines Insektenhormons überhaupt gelang – dem „Verpuppungshormon“ Ecdyson. Sein Testobjekt war die Raupe des Seidenspinners, dessen Aufzucht aus der Seidenproduktion gut bekannt war. Nicht weniger als eine halbe Million männlicher Puppen war nötig, um schließlich 25 Milligramm des reinen Hormons zu gewinnen.
Ebenfalls am Beispiel des Seidenspinners konnte Butenandt in Tübingen und München bis 1959 nachweisen, dass Insekten über Botenstoffe, sogenannte Pheromone, miteinander kommunizieren. Butenandt und seinen Mitarbeitern gelang es in jahrelanger Arbeit, den Sexuallockstoff des Seidenspinners aus mehreren hunderttausend Drüsen zu isolieren und damit erstmals ein Pheromon in ausreichender Menge für die Forschung zugänglich zu machen.
Genetische Steuerung der Embryonalentwicklung (Nobelpreis für Christiane Nüsslein-Volhard)
Christiane Nüsslein-Volhard war Absolventin des Biochemie-Studiengangs an der Universität Tübingen und kam über kürzere Stationen in Freiburg, Basel und Heidelberg zurück nach Tübingen, wo sie zunächst am Friedrich-Miescher-Institut tätig war und seit 1985 am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie forscht. 1995 erhielt sie zusammen mit Eric Wieschaus den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie für ihre langjährigen Forschungen über die genetische Steuerung der Embryonalentwicklung.
Sie erforschte zunächst die Gene, die im Ei der Taufliege die Anlage des Körperbaus steuern, und entwickelte eine spezielle Theorie, wie in Eizelle und Embryo die Genexpression reguliert wird. Später weitete sie die Forschung auf die Entwicklungsbiologie des Zebrafisches aus, den sie als neuen Modellorganismus in der Genetik etablierte.