Schlosslabor Tübingen
Das historische Schlosslaboratorium
Schon 1810 plante die Königliche Oberstudiendirektion, das chemische Labor der Universität in die einstige Hofküche des Tübinger Schlosses zu verlegen, doch der damalige Lehrstuhlinhaber Carl Friedrich Kielmeyer verweigerte sich diesem Ansinnen mit Nachdruck. Nach Kielmeyers Weggang wurde der Umzug dann 1818 vollzogen. Aber auch seinem Nachfolger, dem jungen Christian Gottlob Gmelin, war der Ort nicht genehm – er arbeitete die meiste Zeit im bequemeren Labor seiner Apotheke am Markt.
Dabei war das Schlosslabor mit hohen Kosten von 6000 Gulden für Gmelin eingerichtet und 1823 sogar noch um die benachbarte einstige Waschküche erweitert worden. Doch die abseitige Lage auf dem Schlossberg sowie die dunklen und kalten Gemäuer machten die Arbeit dort unattraktiv. So bevölkerten für lange Zeit vor allem Studenten und Doktoranden das Laboratorium im Schloss.
Letztlich gab Gmelin die Leitung des Labors an Georg Carl Ludwig Sigwart ab, der in einem Nebenraum des Schlosslabors arbeitete und dort als einer der Pioniere des Faches biochemische Forschungen betrieb. Zur Wiege der Biochemie als eigenständiger Disziplin wurde das Schlosslabor vor allem in der Zeit ab 1846. In jenem Jahr wurde Julius Eugen Schloßberger zum außerordentlichen Professor für angewandte Chemie berufen, und die allgemeine Chemie Gmelins zog in ein neues Labor in der Wilhelmstraße um.
Besonders herausragende Forschungen gelangen in der Ära von Felix Hoppe-Seyler, der 1861 als Professor berufen wurde. Er untersuchte den roten Blutfarbstoff und gab ihm den Namen „Hämoglobin“ .
Die Hämoglobin-Forschung blieb noch über Jahrzehnte ein Schwerpunkt der Tübinger Biochemie. Hoppe-Seyler war es auch, der das für lange Zeit bedeutendste Handbuch über die Methoden der Biochemie verfasste und der die erste biochemische Fachzeitschrift begründete. Sein Schüler Friedrich Miescher machte 1869 im Schlosslabor die bahnbrechende Entdeckung eines Stoffes, den er „Nuklein“ nannte – heute als DNA und RNA bekannt, die Träger der Erbinformation.
Trotz aller Widrigkeiten in den alten Gemäuern war das Schlosslabor eines der größten und am besten ausgestatteten biochemischen Labore seiner Zeit. Die meisten medizinischen Fakultäten hatten damals noch überhaupt kein eigenes Labor für biochemische Studien. Nach Tübingen jedoch strömten auch aus dem Ausland immer zahlreicher junge Mediziner, um sich unter Anleitung von Felix Hoppe-Seyler dieser neuen wissenschaftlichen Disziplin zu widmen.
Unter Hoppe-Seylers Nachfolger Gustav Hüfner stieg die Zahl der Studenten und Nachwuchswissenschaftler schließlich so stark an, dass das Schlosslabor keinen ausreichenden Platz mehr bot. Außerdem war es inzwischen baulich-technisch mangelhaft geworden, „den Ansprüchen der modernen Wissenschaft keineswegs mehr entsprechend“ , wie Hüfner konstatierte. Nach langen Bemühungen fand sich das Land 1883 bereit, einen Neubau für die physiologische Chemie in der Gmelinstraße zu finanzieren.