Dental|Things – Die Objekte
Die Sammlung der Zahnmedizinischen Klinik beherbergt tausende Objekte, von winzigen Kronenaufsätzen bis hin zu vielen hundert Kilo schweren Zahnarztstühlen aus vergangenen Jahrhunderten. Im Rahmen des Seminars „Dental|Things – eine zahnmedizinische Ausstellung“ bearbeiteten und inventarisierten Studierende der Universität Tübingen einige besondere Stücke. Die entstandenen Objekttexte vermitteln wertvollen Kontext von Gegenständen, deren Bedeutung so auch für Laien verständlich wird.
Zahnschlüssel nach Lautenschläger (1803)
Die gängigste und effektivste Methode der Schmerzbeseitigung bei Zahnproblemen war noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Extraktion. Der Zahnschlüssel war dabei eines der vielen Spezialinstrumente, die über 150 Jahre lang zum Alltagswerkzeug eines Zahnarztes gehörten. Schriftlich erwähnt wurde der Zahnschlüssel das erste Mal 1742 in Alexander Munroes Artikel „A Describtion of Surgical Instruments“. Die Wahl des Namens hatte wohl zwei unterschiedliche Hintergründe: Sowohl das Aussehen als auch die Funktionsweise des Aushebelns durch Drehen erinnern an einen Schlüssel. Dieser spezielle Zahnschlüssel wurde 1803 vom Berliner Heinrich Lautenschläger entworfen, der zu dieser Zeit Hofzahnarzt war. Mit dem verstellbaren und austauschbaren Schlüsselbart war dieser eine Weiterentwicklung der früheren Modelle und bot eine sicherere Extraktion der verschiedenen Zähne. Ein großer Vorteil des Zahnschlüssels war, dass er auch bei wenig geöffnetem Mund anwendbar war. Trotzdem kam es sehr oft zu einer unabsichtlichen Verletzung des Zahnfleisches oder der umliegenden Zähne. // Tamara Bühler
Wachsmoulage eines Hämangioms (1920)
Außerhalb der zahnmedizinischen Instrumente gehören der Tübinger Sammlung auch einige Moulagen der Kopf- und Halsregion an. Bei Moulagen handelt es sich um Wachsabgüsse verschiedener Körperteile, die vor allem im frühen 20. Jahrhundert in der universitären Lehre stark verbreitet waren. Diese spezielle Moulage zeigt ein Hämangiom im Kinn- und Wangenbereich eines Kleinkindes. Ein Hämangiom ist ein gutartige Gefäßtumor, der vor allem im Kindesalter auftritt. Durch das Hämangiom wirkt das Gesicht des Kindes angeschwollen, weitere Informationen zum Patienten fehlen allerdings. Bekannt hingegen ist der Mouleur (der Hersteller) des Modelles sowie eine Jahreszahl, bei der es sich entweder um das Herstellungs- oder das Anschaffungsdatum handelt: Auf dem originalen, unter der Moulage angebrachten Papierschild wird die Firma „A. & P. Seifert“ aus Berlin genannt, sowie das Datum 14.7.1920. Die Firma „A. & P. Seifert“ der Brüder Adolf, Paul und Otto Seifert, die seit 1905 wissenschaftliche Modelle herstellte, verkaufte ihre Moulagen damals über Unterhändler und Warenkataloge in ganz Deutschland. // Tamara Bühler
Kautschukprothesenbasis mit Keramikzähnen (1909)
Wie wichtig schöne Zähne eigentlich sind, fällt uns häufig erst an Negativbeispielen auf. Antike Funde zeigen, dass Menschen schon immer Wege suchten, fehlende Zähne zu ersetzen. Da die meisten dieser „Prothesen“ funktional aber völlig unbrauchbar waren, zeigt sich, dass lange Zeit die Ästhetik im Vordergrund stand. Heute steht die Wiederherstellung der Funktionalität klar im Vordergrund, wenngleich die Ästhetik auch weiterhin von großer Bedeutung bleibt.
Die allerersten Zahnersätze bestanden aus Materialien wie Elfenbein, Keramik oder auch Holz. Mit beginnender Professionalisierung der Zahnmedizin entwickelte sich bald auch die industrielle Produktion von hochfunktionalen Prothesen. Bereits in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen in den USA Mineralzähne in Massenproduktion, während die Produktion der Prothesenbasis sich noch länger schwierig gestaltete. Erst um 1860, mit der Einführung des Materials Kautschuk durch den Amerikaner Charles Goodyear, wurde dieser Engpass beseitigt: Das elastische Material war vor allem für die am Oberkiefer ansaugenden Platten besonders geeignet. Heute wird Kautschuk nicht mehr verwendet, denn das Material wird mit der Zeit zu spröde und porös. // Katja Schurr
Porzellansortiment für Jacketkronen und Facetten (um 1900)
Die „Nacherfindung“ von Porzellan in Deutschland um 1709 markiert einen wichtigen Schritt in der Geschichte des Zahnersatzes. Durch Porzellanzähne und -gebisse konnten Funktion und Ästhetik erstmalig zufriedenstellend miteinander verbunden werden.
Das hier abgebildete Porzellansortiment bot die Möglichkeit verschiedener Farbabstufungen für sogenannte Jacketkronen und Facetten. Diese ersetzen einen beschädigten Zahn nicht vollständig, sondern ummanteln ihn lediglich. Die Zahnpaletten im Vordergrund bilden einen „Zahnfarbschlüssel“, der es ermöglichen sollte, der natürlichen Zahnfarbe des Patienten möglichst nahe zu kommen. Die kleinen Döschen dahinter beinhalten die dafür benötigten Pulver. Marktführend war hierbei auch die amerikanische Firma Justi & Son, die auch dieses Sortiment produzierte. Trotz negativer Aspekte wie leichter Zerbrechlichkeit, einem Klappern beim Sprechen und ungenauen Passformen konnte sich Porzellan gegenüber anderen Stoffen viele Jahre behaupten. // Katja Schurr
Goldhämmerfüllungs-Werkzeugkasten, um 1920.
Das aufwändig gestaltete Etui beinhaltet ein Restaurationswerkzeug mit unterschiedlichen Aufsätzen, das für Goldhämmerfüllungen verwendet wurde. Der Hersteller Ash & Sons produzierte von 1829 bis 1924 zahnmedizinische Geräte, bevor die Firma mit dem Unternehmen Plandent Limited fusionierte.
Bei der Goldhämmerfüllung handelt es sich um eine Art der Einlagefüllung, bei der kleine Kavitäten (Zahndefekte) mit Pulver- und Foliengold versorgt werden. Diese Technik ist aufgrund des Materials und des Auftrags sehr kosten- und zeitaufwändig, weshalb sie heutzutage eher unkonventionell ist. Andererseits ist sie sehr randdicht, langlebig (bis zu 30 Jahre) und für den Patienten meist sehr gut verträglich.
Die Effektivität der Behandlung entsteht durch die Goldfüllung, welche die Kavitätenränder leicht verformt ohne dem Zahn dabei weiteren Schaden zuzufügen. Dadurch schafft die Füllung sich eine eigene Passform, die so dicht schließt, dass keinerlei Bakterien unter den Füllungsrand gelangen können.
Für eine Füllung setzt der Zahnarzt zuerst das Goldpulver für den Körper der Einlagefüllung ein. Es folgt das Foliengold für die Füllungsoberfläche, welches so hauchdünn ist, dass sich damit die Zahnoberfläche perfekt nachbilden lässt. Die Blattgoldschichten werden dabei mit einem speziellen Stößel kondensiert und verdichtet, daher auch der Name Goldhämmerfüllungen. Sie sind in ihrer heutigen Ausführung seit Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitet. // Ilena Becić & Melissa Schiffmacher
Gipsbüste der Heiligen Apollonia, um 1920.
Noch während der Regierungszeit des römischen Kaisers Philippus Arabs ereignete sich im ägyptischen Alexandria 248/249 n. Chr. ein Pogrom an den ortsansässigen Christen. Opfer dieser gewaltsamen Aufstände gegen die Christen wurde auch Apollonia, eine in Alexandria hochangesehene alte Frau. Das Martyrium Apollonias während des Pogroms wurde in der „Historia ecclesiastica“ des Eusebius von Caesarea beschrieben: „Überdies ergriffen sie die alte treffliche Jungfrau Apollonia, schlugen sie auf die Kinnbacken und schlugen ihr alle Zähne aus. Hierrauf errichten sie einen Scheiterhaufen vor der Stadt und drohten, sie lebendig zu verbrennen, wenn sie nicht mit ihnen die gottlosen Worte aussprechen würde. Da sie um ein wenig Zeit bat und losgelassen wurde, sprang sie eiligst in das Feuer und verbrannte.“
Das Ausschlagen der Zähne gehörte nun zum Martyrium der Apollonia, deren Freitod von den Kirchenlehrern Augustinus und Ambrosius noch kontrovers diskutiert wurde. Verehrungswürdig war noch Mitte des 13. Jahrhunderts vor allem der Sieg Apollonias über die Qualen, die sie durchleben musste, so heißt es in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine um 1260: „Ihre erbarmungslosen Peiniger waren sehr verwundert, als sie eine Frau sahen, die mehr Qualen erleiden wollte, als sie ihr bereiten wollten.“
Im Verlauf des Mittelalters vermengt sich die Geschichte um das Martyrium der Apollonia mit anderen Heiligenlegenden, verlagert sich zeitlich wie auch geografisch. Bis heute gilt Apollonia allerdings als Beschützerin vor Zahnschmerzen. Papst Johannes XXI., Verfasser der naturheilkundlichen Hausapotheke Thesaurus pauperum zwischen 1245 und 1270, empfahl den Gläubigen bei Zahnschmerzen ein Gebet an Apollonia zu richten. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts setzte sich dieser Volksglaube um die zahnschmerzlindernde Kraft der Apollonia im christlichen Europa durch. In dieser Zeit erhält Apollonia auch die Zange als Attribut und Symbol für ihr Martyrium: So zeigt ein Gemälde von Simone Martini um 1320 Apollonia aus dem Museo Civico in Pisa Apollonia in Halbfigur mit einer Zange. Mit der zunehmenden Technisierung der Zahnmedizin entwickelte sich Apollonia im 17. Jahrhundert zur Patronatsheiligen der Zahnärzte, deren Patientinnen und Patienten ihren Zahnschmerz nun nicht mehr nur mit heiligem Beistand, sondern auch medizintechnisch gelindert haben wollten. // Michael La Corte
Schautafel „Der Werdegang einer Chlorodont-Tube“, um 1927.
Seit 1907 war Chlorodont-Zahnpaste die erste Zahnpasta in Metalltuben, die man in Deutschland erwerben konnte. Der Geburtsort des Produkts war ein kleines Laboratorium auf dem Dachboden der Dresdner Löwen-Apotheke. Dort füllte der Inhaber der Apotheke, Ottomar Heinsius von Mayenburg, die selbstgemischte Zahncreme in kleine Metalltuben. Das Laboratorium zog 1911 in neue Räumlichkeiten in Dresden um, während sich das Warensortiment um weitere mundhygienische Produkte sowie Haut- und Körperpflegemittel erweiterte. Mit steigender Nachfrage und Umsatz expandierte auch das Unternehmen. Im Januar 1925 wandelte von Mayenburg das Laboratorium zur Leo-Werke A.G. um, die sich im September 1930 schließlich zur Leo-Werke GmbH entwickelte. Mayenburg legte sehr viel Wert auf Werbemaßnahmen für seine Marke Chlorodont. Das zeigen nicht nur das schlichte, beinahe zeitlose Design der Tuben, sondern auch die zahlreichen Zeitungsanzeigen, Reklameschilder, Plakate und Werbegeschenke, die die Marke bekannt machen sollten. Die Werbemaßnahmen wiesen meist einen didaktischen Charakter auf: Schaubilder von Zähnen im Querschnitt und Produkt-Schautafeln wie die abgebildete verbanden das Produkt mit medizinischer und wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit.
Im Rahmen der Enteignung im Jahr 1952 wurde aus den Dresdner Leo-Werken der Volkseigene Betrieb (VEB) Chlorodont-Leo, der später zusammen mit den Betrieben Odol und Biox Ultra zum VEB Elbe-Chemie zusammengeführt wurde. Anfang der 1980er Jahre verschwand die Marke Chlorodont endgültig aus den Verkaufsregalen. Als DENTAL-Kosmetik GmbH existiert seit 1990 ein gesamtdeutscher Nachfolger der VEB Elbe-Chemie. // Chrysoula Kalpakidou
Zweig des Zahnbürstenbaumes, um 1910.
Die Sammlung bietet auch ethnologisch interessante Objekte, vor allem die häufig als Miswak bezeichneten Zweige des Zahnbürstenbaumes. Es handelt sich bei den abgebildeten Objekten höchstwahrscheinlich um Schenkungen von Missionaren, die von einem Aufenthalt aus der deutschen Ostafrika-Kolonie zurückkehrten.
Die hellen Hölzer stammen vom sogenannten Zahnbürstenbaum (Salvadora persica L.). Dabei handelt es sich um ein immergrünes Strauchgewächs aus der Familie der Kreuzblütlerartigen. Es tritt mit grauen oder weißlichen Stängeln auf, die ein verworrenes Dickicht bilden. Die Pflanze ist hauptsächlich in Regionen mit subtropischem, warmem und trockenem Klima verbreitet.
Seit mindestens dem späten 19. Jahrhundert wird das wohlriechende und zahnpflegende Holz als Zahnpflegeinstrument verwendet, das häufig auch als „Miswak“ oder „Siwak“ bezeichnet wird. Die Anwendung ist denkbar einfach: Die Spitzen abgetrennter Zweige werden durch Kauen aufgefasert, bis sie als pinselartige Zahnbürste dienen können. Elaboriertere Methoden zerfasern das Holz durch Hämmern oder Einweichen, nachdem die äußere Rinde entfernt wurde. // Chrysoula Kalpakidou