Dental|Things – Die Sammlung
Die Zahnmedizinische Lehrsammlung beinhaltet Objekte, Artefakte und Lehrgegenstände aus über 300 Jahren. Die Entstehungsgeschichte ist besonders in den Anfängen teilweise schwer nachzuvollziehen und lückenhaft. Das MUT hat sich 2019 der Rettung, Aufarbeitung und Präsentation der Sammlung angenommen und arbeitet aktuell auch deren Geschichte auf.
Die Anfänge der Sammlung
Am 30. November 1968 eröffnete die neue Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der Universität Tübingen ihre Pforten in der Liebermeisterstraße. Im Rahmen der Neueröffnung war bereits zu dieser Zeit die Einrichtung eines Museums oder großen Schauraumes geplant, damals noch im 2. Untergeschoss. Zuvor war die Klinik in der Burse untergebracht gewesen und seit 1910 war dort auch eine Sammlung von Lehrgegenständen, Memorabilien und Kuriositäten angelegt worden. Grundstock war hier die Privatsammlung des renommierten Zahnarztes Prof. Dr. Hermann Peckert. Peckert sammelte neben zahnmedizinischen Instrumenten vor allem auch historische Zahnprothesen.
Die Sammlung zog vorerst in den Verbindungsgang zwischen Mittelbau und großen Hörsaal der neuen Klinik, wo ein provisorischer Schauraum errichtet wurde. Dort ist die Sammlung noch heute zu finden.
In der neuen Klinik
In den ersten 20 Jahren war die Schausammlung zwar seltener, aber fester Bestandteil der Lehre in der Zahnmedizinischen Klinik. Betreuer und Kustoden sowie engagierte Professoren boten Studierenden, Gästen und Besuchern Führungen an. Die Gegenstände wurden schlicht, aber strukturiert und informativ präsentiert, die geringe Grundfläche durch Schrankvitrinen und geschickt platzierte Objekte gut genutzt.
In den darauffolgenden Jahrzehnten nahm mit dem Interesse an der Sammlung und deren Exponaten auch ihre Pflege ab. Während die Zahl der Objekte durch Schenkungen und Ankäufe stetig wuchs, blieb die Ausstellungsfläche und das Mobiliar dasselbe – so wurde aus einem Repräsentationsraum schleichend ein Lager. Schließlich war der Schauraum kaum mehr zu begehen. Als die Lagerfläche dort nicht mehr ausreichte, kamen die neuen Konvolute in den langen Verbindungsgang neben der Sammlung unter.
Aktuelle Entwicklungen
In dieser Notlage trat 2018 Dr. Andreas Prutscher, seit einigen Jahren Kustos der Sammlung, an das MUT heran: Der Sammlung drohte die Auflösung, da die Vernachlässigung bald die Grenzen des Akzeptablen erreicht hätte. Es galt so schnell wie möglich die Objekte und Sammlung selbst zu überarbeiten, sonst drohe der potenzielle Abtransport – allein schon aus Brandschutz- und Sicherheitsgründen. Das MUT begann bereits 2018 sich verstärkt für den Erhalt der Sammlung einzusetzen, bis schließlich im Wintersemester 2019 ein Projektseminar mit Studierenden beginnen konnte: „Dental|Things – Eine Zahnmedizinische Ausstellung“ begleitete das gleichzeitig beginnende Gesamtprojekt zur Aufarbeitung der Sammlung.
Während nun immer noch Ideen und Planungen für eigene, große Sammlungsräumlichkeiten im Hauptbau oder eventuellen Neubauten der Klinik existieren, soll nun durch das Museum der Universität Tübingen MUT in Zusammenarbeit mit der Klinik und dem Kustos Dr. Prutscher eine breitgefächerte Neupräsentation der aktuellen Schausammlung erfolgen. Sie sieht eine professionelle und strukturierte Inventarisierung der Objekte vor und weiter die Umsetzung einer modernen und ansprechenden Dauerausstellung in den aktuellen Räumlichkeiten und die Einrichtung eines adäquaten temporären Lagers für all jene Objekte, die aus unterschiedlichen Gründen nicht präsentiert werden können
Ein Überblick
Der Umfang ist beachtlich
Die Sammlung umfasst Exponate der Chirurgie, der Zahnerhaltung, der Prothetik und der Röntgenologie. Eine Schrankvitrine beherbergt eine kleine Sammlung historischer Schriften zur Zahnheilkunde, wenngleich der Großteil der historischen Bibliothek der Zahnmedizinischen Klinik in einem benachbarten Raum untergebracht wurde und ebenfalls seiner Überarbeitung harrt.
Ein Großteil der Sammlung besteht aus zahnmedizinischen Instrumenten: Zahnschlüssel und Zangen, Pelikane und Bohrer, Sonden, Spiegel und noch vielen anderen Geräten. Sowohl für Experten als auch für Laien ist durch die große Anzahl der Exponate aus 200 Jahren Zahnmedizin eindrücklich nachvollziehbar, wie sich Techniken und Behandlungsarten entwickelten, auftraten und wieder verschwanden. Die Evolution der Griffe, Instrumentenköpfe und Materialien weckt im Betrachter intuitives Verständnis für die wechselnden Bedürfnisse und Möglichkeiten der sich konstant verändernden Zahnmedizin.
Ebenso deutlich wird dies bei den Prothesenexponaten: Während die teils über 300 Jahre alten Prothesen aus Elfenbein und Walknochen noch handgeschnitzt wurden und Zähne eher nachahmen, findet man aus den 1930er und 40er Jahren bereits Farbpaletten für perfekte Replikationen von Schneidezähnen, die mit ihrer Kolorierung individuell den Patienten angepasst wurden. Auch hier zeigt die Entwicklung und der Wechsel bei Handhabung und Material, zu welcher Zeit ein Umschwung in der Behandlung und in der grundsätzlichen Denkweise vollzogen wurde.
Nicht nur Lehrmaterial
Weiter gibt es auch fachgeschichtliche Artefakte, wie zum Beispiel eine Gipsbüste der Heiligen Apollonia aus dem 19. Jahrhundert, der Schutzpatronin der Zahnärzte, und eine Lithografie von ihr. Daneben finden sich Originalzeichnungen zur Kieferanatomie und Zahnheilkunde allgemein, alle aus der Hand Prof. Dr. Hermann Peckerts, der als Gründer der Sammlung gelten kann. Die Zeichnungen und Skizzen, die in der Sammlung vorhanden sind, fanden teilweise Eingang in sein Standardwerk über konservierende Zahnheilkunde, 1911 erschienen.
Mehrere repräsentative Schaukästen zeigen altertümliche, teils historische Röntgenröhren und Sterilisatoren neben auch heute noch hochkomplexen technischen Errungenschaften wie dem „elektronischen Unterkiefer“, ein Instrument zur Messung von Kaubewegungen, die digital erfasst werden können – eine Tübinger Erfindung aus den 1990er Jahren. Zusammen mit den aktuell nur einige Räume weiter produzierten 3D-Drucken von Zahn- und Kieferprothesen zeigen diese technischen Meilensteine auf eine beeindruckende Weise, wie rasch, ja teils exponentiell sich die Wissenschaft der Zahnmedizin und -technik weiterentwickelte.
Eine auch aus anderen Sammlungen der Universitätsklinik bekannte Besonderheit sind so genannte Wachsmoulagen, naturgetreu colorierte Wachsplastiken, die pathologische Zustände des Mundes, Kiefers und Rachens zeigen. Sie stammen aus dem Umfeld der Werkstatt Rudolph Virchows, einem berühmten Berliner Pathologen, der um 1900 für seine hervorragend gearbeiteten Moulagen bekannt wurde. Die Moulagen dienten als plastisches Anschauungsbild für Studierende, deren Realitätsnähe jegliche Form von Lithografie oder Zeichnung überstieg und klare Vorteile für eine spätere Diagnose am Patienten boten
Eine große Aufgabe
Abgeschlossen wird die Sammlung durch mehrere Behandlungsstühle samt dazugehörigen Konsolen. Auch hier kann anschaulich die Entwicklung der Behandlungstechniken nachvollzogen werden: So verschwinden bei späteren Stühlen zum Beispiel die angebrachten Aschenbecher für den Zahnarzt, ein sicherlich weiser Entschluss. Auch das Design der Zahnarztstühle, vom klinisch-fahlen Beige der 1950er Jahre bis hin zum 1970er ferrari-gelben Anstrich zeigt deutlich, dass hier neben einer Fach- auch eine Kulturgeschichte repräsentiert wird.
Mit über 1000 Objekten aus verschiedenen Fachrichtungen hat die Sammlung das Potenzial, zu einer bedeutenden Zahnmedizinischen Lehrsammlung an deutschen Universitätskliniken zu werden – auch gerade deshalb, weil es nur wenig vergleichbar aufgearbeitete Sammlungen gibt. Sich dieser Mammutaufgabe zu stellen ist kein einfaches Unterfangen, bei einem so vielfältigen, faszinierenden und historisch wertvollen Material aber umso lohnender. // David Kühner
Objektgalerie
Die Zahnmedizinische Lehrsammlung beherbergt tausende Objekte, die wohl nie in ihrer Gesamtheit der Öffentlichkeit zu präsentieren wären – auch wenn das sicherlich ein spektakulärer Anblick wäre! Stattdessen soll mit einer kleinen Bildergalerie zumindest der Abwechslungsreichtum der Sammlung vorgestellt werden.
Eine weitere Auswahl von Gegenstände finden Sie auf der Unterseite "Die Objekte", dort auch mit Beiträgen zu Nutzen, Kontext und Geschichte.